Hingabe ohne Hoffnung

Die masochistisch begabte* Seele ist sehr hingebungsvoll, opferbereit, sie liebt  und versteht männliche Dominanz im innersten Wesen, ist sich selbst ein wenig durchsichtiger als anders geartete Seelen, – glaubt aber nicht, in der Welt zu finden was sie ersehnt und will es erzwingen, … sie ist enttäuscht von den Erfahrungen, die sie in der Welt gemacht hat, sie glaubt der Sexualisierung der Gesellschaft mit ihren billigen Regeln und Erwartungen, hat dem nichts entgegegzusetzen, keine Erkenntnis, keine Hoffnung, setzt daher auf ihre eigene Kraft und ihren eigenen Weg. Sie blickt nicht auf Gott und setzt ihre Hoffnung nicht in Gott. Sondern sie meint sich zubereiten zu müssen, für was sie erschaffen wurde.

Hingabe und Eitelkeit

SM ist eine Begabung zu weit überdurchschnittlicher, selbstloser, inniger Hingabe. Die sadomasochistische Person ist jedoch eitel und zugleich an der Welt verzweifelt. Sie ahnt oder weiß, dass ihr Wille zur Hingabe in dieser profanen Welt nicht zur Erfüllung kommen kann, hält jedoch an der profanen Welt fest (weil sie nur diese kennt oder weil alles Andere zu viel Mut verlangte).

Wahre Liebe

Lukas 7, 36-50 ist interessant für Sadomasochisten. Denn diese Szene erzählt nicht von sadomasochistischer Liebe sondern von wahrer Liebe, und doch sieht es von außen betrachtet ähnlich aus.

Es bat ihn aber einer der Pharisäer, daß er mit ihm essen möge; und er ging in das Haus des Pharisäers und legte sich zu Tisch. (Und siehe, da war eine Frau in der Stadt, die eine Sünderin war; und als sie erfahren hatte, daß er in dem Hause des Pharisäers zu Tisch lag, brachte sie eine Alabasterflasche mit Salböl; trat von hinten an seine Füße heran, weinte und fing sie an, seine Füße mit Tränen zu benetzen, und trocknete sie den Haaren ihres Hauptes. (Dann) küßte sie seine Füße sehr und salbte sie mit dem Salböl. Als aber der Pharisäer, der ihn geladen hatte, das sah, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so würde er erkennen, was für eine Frau (das ist), die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sagt: Lehrer, sprich! Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner; der eine schuldete fünfhundert Denare, der andere aber fünfzig; da sie aber nicht zahlen konnten, schenkte er es beiden. Wer nun von ihnen wird ihn am meisten lieben? Simon aber antwortete und sprach: Ich nehme an, (der,) dem er das meiste geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt. Und sich zu der Frau wendend, sprach er zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen, du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; sie aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet. Du hast mir keinen Kuß gegeben; diese aber hat, seitdem ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat mit Salböl meine Füße gesalbt. Deswegen sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. Er aber sprach zu ihr: Deine Sünden sind vergeben. Und die, die mit zu Tische lagen, fingen an, bei sich selbst zu sagen: Wer ist dieser, der auch Sünden vergibt? Er sprach aber zu der Frau: Dein Glaube hat dich errettet. Gehe hin in Frieden!

Es wird nicht gesagt, wie die Frau sich Eingang in das Haus des Pharisäers Simon verschaffen konnte. War es einfach so möglich, in das Haus einzutreten? In jedem Fall nimmt sie Mühe auf sich, Jesus zu sehen. Die Frau hat Jesus offenbar schon früher einmal getroffen. Vielleicht war sie eine der Zuhörerinnen, als Jesus in dieser Gegend vor Menschenmengen vom Reich Gottes lehrte. Es muss ihr ein sehr inniges Anliegen sein, ihn nun noch einmal zu treffen und ihm zu danken.

Sie bringt eine Alabasterflasche Salböl mit – sicherlich als Ausdruck ihres Dankes Jesus gegenüber. Hätte sie zu diesem Zeitpunkt bereits vorgehabt, Jesus die Füße zu waschen, hätte sie sicherlich einen Krug Wasser und ein Handtuch dabei gehabt. Da sie aber nur das Salböl dabei hat, vermute ich, dass ihr Vorhaben zwar emotional aufgeladen, aber durchaus vernünftig war: Jesus von Herzen zu danken und ihren Dank auch durch ihr Geschenk (das Öl oder die Salbung seiner Haare mit dem Öl) auszudrücken.

Vermutlich hatte sie schon bei ihrer ersten Begegnung mit Jesus begriffen, wer Jesus ist. Damals hat sie sein reines, heiliges, göttliches Wesen schon unscharf erkannt. Indem sie ihn erkannt hat, hatte sie auch sich selbst erkannt: ihr sündiges Leben, ihren irrigen Lebensweg (sie führte ein locker-loses Leben mit vielen wechselnden Beziehungen zu Männern oder war eine Prostituierte), Irrtümer über sich selbst und über Männer und über die Gesellschaft im Allgemeinen. Das alles konnte sie im Licht der Liebe Jesu erkennen. Deshalb hat sie tiefe Gefühle der Liebe und Dankbarkeit für ihn. Das treibt sie an, ihm noch einmal zu begegnen und ihm persönlich zu danken – vielleicht auch in der Hoffnung, ihn noch tiefer zu erkennen. Sie ahnt deutlich: er ist der Schlüssel zu irgendwie allem, er ist die Antwort, in seiner Gegenwart ist sie auch ganz sie selbst, ganz selbstvergessen. So hat sie es bei ihrer ersten Begegnung erlebt, als sie in der Volksmenge stand und ihn lehren hörte. Sie ist sich nun nicht zu schade, ihn bei den Pharisäern in Haus eines Pharisäers aufzusuchen, deren Verachtung ihr gegenüber ihr sicher bewusst war. Sie riskiert es, sich den verachtenden Blicken, Bemerkungen und eventuell sogar einem Rauswurf auszusetzen, denn sie will Jesus als von ihr unscharf erkannter Quelle der Wahrheit, Weisheit und Liebe noch einmal gegenübertreten. Dass Jesus in der Stadt ist und sie erfährt, wo er ist: das ist ihr Kairos, und sie will den Kairos nutzen, ohne Rücksicht auf die sie schmerzende Verachtung der Pharisäer, die – auch das weiß sie schmerzlich – Recht haben, denn sie war wirklich eine Sünderin gewesen.

Nun tritt sie also in den Raum, in dem die Pharisäer und Jesus zu Tisch liegen.

Sie sieht Jesus und nähert sich ihm, dabei nimmt sie ihn wahr und sieht ihn nicht nur äußerlich, sondern mit ihrem geistigen Auge auch von Innen, sie nimmt seine reine, liebevolle Göttlichkeit wahr, je näher sie zu ihm kommt, desto stärker, und das trifft sie unerwartet und mit Wucht. Eigentlich ist sie diejenige im Raum, die am meisten von allen wahrnimmt, wer er ist, vielleicht, weil sie auf Grund ihres bisherigen, gründlich verfehlten Lebens die Bedürftigste und Unvollkommenste von allen ist. Eigentlich nicht „die Unvollkommenste ist“ sondern „war“. Denn sie stellt sich ihrer verfehlten Vergangenheit vollkommen. Sie deckt ihre Sünden nicht zu, redet sie vor sich selbst nicht schön, sucht nicht nach Ausreden. Sonst könnte sie die Gegenwart Jesu überhaupt nicht ertragen, – er wäre sonst nur ein Ärgernis für sie, dem sie entfliehen müsste um ihr schön gefärbtes Selbstbild aufrecht zu erhalten. Die weiche Wucht seiner Gegenwart bringt sie aus der Fassung. Je näher sie kommt, desto nackter fühlt sich sich innerlich, gleichzeitig fühlt sie sich wie von einer Wolke der wohlwollendsten, beschützenden Liebe umhüllt, wie ein kleines, unschuldiges Kind. Im Alltag war sie es gewohnt, sich mit Koketterien, sexuellen Anzüglichkeiten und dergleichen in ihrem sozialen Umfeld über Wasser zu halten. All das, die ganze Schäbigkeit, die sie für wendige Lebensklugheit gehalten hatte, fällt von ihr ab und übrig ist nur ihre kindliche, liebende, ängstliche, befreite Seele. Je weiter sie sich ihm von hinten nähert, desto intensiver nimmt sie seine Unschuldigkeit und Reinheit wahr, seine unverstellte Wahrhaftigkeit ist so groß und warm und immer wärmer, sie fühlt wie ihre Seele in seiner Gegenwart ganz weich wird und vor ihm dahin schmilzt, einfach irgendwie vor ihm zerfließt. Ihr Wille, ihm fest gegenüberzutreten und zu danken, funktionert wie auf Autopilot geschaltet noch, aber ihr Herz ist so offen und zu zerflossen ist ihre Seele vor seiner warmen, liebenden Anwesenheit, als dass sie ihre äußere Fassung halten kann. So sinkt sie zu seinen Füßen und beugt sich tränenzerflossenen darüber und weiß sehr wohl, dass es die kostbarsten Füße sind, die jemals irgendwo die Erde berührt haben. Ihre Tränen rinnen an Jesus staubbedeckten Füßen hinunter und hinterlassen Linien und Flächen glänzender Haut. Sie greift willkürlich in ihr langes Haar, das rundherum herunterhängend auf dem Boden liegt und wischt, halb unbewusst, Staub und Tränen von Jesu Füßen herunter um sie dann, wie ihre Seele warm zerflossen ist, in zärtlichster Hingabe an seine warme, zugängliche Heiligkeit unschuldig mit Küssen zu bedecken und sie schließlich mit streichend-streichelnden, kreisenden Händen und Fingern mit dem Salböl zu veredeln.

Jesus und die Frau sind geistig in intensivem Kontakt in dieser ganzen Szene. Jesus und die Frau bewegen sich gemeinsam in einem geistigen Raum. Sie begegnen sich nicht nur körperlich, sondern vor allem auch geistig-seelisch. Die Seele einer Frau, die ein sündiges, verfehltes Leben gelebt hat, aber guten, offenen Willens ist, sich der Wahrheit zu stellen, trifft auf Jesus Seele. Sie kommunizieren geistig-seelisch.

Von außen betrachtet sieht es jedoch so aus, als würde Jesus unbewegt am Tisch liegen und sich mit den Pharisäern unterhalten, während eine leicht hysterische Frau ihm die Füße abküsst, was Jesus unter herablassendem Nichtbeachten geschehen lässt. So sieht es auch der Pharisäer Simon, der in Gedanken Anstoß daran nimmt, dass Jesus sich von einer Frau mit schlechtester Reputation berühren lässt – und dann auch noch auf diese peinlich-groteske Art und Weise.

Jesus aber ist Gott und sieht deshalb nicht nur die Seele der Frau, sondern auch die Seele des Pharisäers Simon und er weiß, was in Simon vorgeht.

Jesus erklärt Simon die Situation und sagt schließlich: Ihre vielen Sünden sind ihr vergeben, denn sie hat viel geliebt.

Ja, sie hat viel geliebt und zwar auf doppelte Weise: zum ersten in ihrem früheren Leben auf sündige Weise, in losen, wechselnden Männerbeziehungen und Ehebrüchen, womit sie viele Sünden begangen hatte, und zum zweiten in der ehrlichen Weise: in der Begegnung mit Jesus, in der sie ihm rückhaltlos begegnet, bereit, in seinem Licht ihrer eigenen Schäbigkeit und seelisch-hässlichen Jämmerlichkeit ins Gesicht zu sehen und ihr ganzes sündiges Lebenskonzept loszulassen. Ihm begegnet sie innerlich, von Seele zu Seele. In der Begegnung mit ihm opfert sie die Reste ihres Stolzes. Sie lässt sich ganz auf seine Wahrheit ein, der sie in keiner Weise gewachsen ist. In Jesus begegnet ihr ein Mann, der sie liebt, jedoch nicht auf Grund ihrer geübten sexuellen Aufreizungen, ihrer flotten Sprüche oder ihrer tückisch-weiblichen Gerissenheit, sondern er liebt ihre reine, nackte Seele, während all ihre unwürdigen, schlampenhaften Tricks als solche dadurch entlarvt werden. Und darauf lässt sie sich ganz ein. Anstatt wegzulaufen, liebt sie ihn zurück und nähert sich ihm, auch wenn ihre Seele wie Wachs vor seiner warmen, wahrhaftigen Größe zerschmilzt. Sie kapituliert vollständig.

Im Grunde genommen ist das Beschriebene die Erfahrung, die Menschen im SM in Wahrheit suchen – ohne es zu wissen. Deutlicher als nicht sadomasochistisch begabte* Menschen fühlen sie unbestimmt und unscharf, dass es eine Erfahrung der Unschuld, der Kindschaft, des absoluten Geliebtwerdens gibt, aber sie wissen nicht, wo sie diese Erfahrung finden können und der Sadomasochismus kommt dem als Bild noch am allernächsten, also identifizieren sie sich mit dem SM. Sadomasochismus wird ihr Lebensstil, der süße Schmerz ihre heimliche Religion.

Jesus sagt schließlich zu ihr: „Dein Glaube hat dich gerettet.“

Die Frau hatte eine ehrliche Bereitschaft zur Wahrhaftigkeit, und zwar nicht nur theoretisch in Gedanken, sondern sie suchte aktiv die Wahrheit, indem sie sich unter die Menschen mischte, die zu Jesus gingen, als er in ihre Stadt kam: ein bekannter Wanderprediger, von dem sie viele erstaunliche Gerüchte gehört hatte. Sie hörte ihm bei dieser ersten Begegnung offenherzig zu. Vorbehaltlos ließ sie ihr Leben durch die Wahrheit seiner Predigt und Lehre tief erschüttern. Sie drängte die neuen Erkenntnisse nicht weg sondern hinterfragte sich und ihr Leben und vieles erschien ihr in ganz neuem Licht. Das machte ihr auch Angst, aber sie war mit dem Absoluten konfrontiert worden und sie wusste einfach, dass es wahr war. Sie ergriff aktiv die nächste Gelegenheit, Jesus noch einmal zu begegnen und war nicht zu stolz, ihn mitten unter Pharisäern aufzusuchen, obwohl diese auf die stadtbekannte Sünderin herabsahen und sie wegen ihres Lebenswandels verachteten. Sie hat Jesus in Wahrheit erkannt und handelte gemäß ihrer Erkenntnis. Auch während dieser zweiten Begegnung stellt sie sich Jesus ganz und läuft nicht fort, um eine Blamage zu vermeiden, weil sie die Fassung verliert. Sicher war es auch damals nicht normal, einem anderen Menschen – zumal einem Fremden – am Tisch die Füße zu küssen. Aber sie hält nicht an ihrer Maske fest sondern liebt ihn und dankt ihm liebend, weil er die Wahrheit und die Liebe ist. Sie lässt dabei zu, dass sie die Kontrolle und Definitionen, die sie sich in ihrem Leben gegeben hatte, verliert. Sie verlässt sich auch nicht auf Äußeres, sondern glaubt, was sie geistig-seelisch wahrnimmt: ihre Seele begegnet der Seele Jesu und Jesus ist groß und göttlich und sie selbst nicht. Darin, und in der Liebe die sie durch Jesus erfahren hat, wird sie im Leben ihren Frieden finden.

Schließlich schickt Jesus die Frau fort, – hinein in ein neues Leben. Er sagt zu ihr: „Geh hin in Frieden.“