Unwürdigkeit

Die Seele einer sadomasochistisch begabten* Person hat eine feine, innere Durchlässigkeit zu dem (vor sich selbst unausgesprochen) Bewusstsein ihrer eigenen Unwürdigkeit vor Gott. Während der Perfektionist diese Unwürdigkeit ständig mit perfekten Leistungen in ein „ich bin würdig vor Gott“ umzuwandeln bestrebt ist, beantwortet der Masochist das quälende Gefühl der Unwürdigkeit vor Gott, indem er einen Menschen sucht, der ihn in seiner Unwürdigkeit ganz und gar liebt und ihn sogar um seiner Unwürdigkeit Willen liebt und darin bestärkt – die Unwürde und das Geliebtwerden bilden hier eine sich gegenseitig verstärkende Einheit.
Ich vermute, beim Sadisten handelt es sich um ein deutlich ausgeprägteres Schuldbewusstsein als beim Masochisten – „ich bin nicht würdig vor Gott weil ich schuldig bin, weil ich böse bin“. Vielleicht eine feine, innere Durchlässigkeit zur Erbsünde, die ihn (noch vor aller in seinem individuellen Leben angesammelten Schuld) ebenfalls und uneinholbar unwürdig weil schuldig vor Gott macht.
Der Sadist beantwortet das quälende Gefühl der schuldigen Unwürdigkeit vor Gott, indem er die Schuld in eine Tugend umwandelt, indem er ‚böse‘ liebt, durch Zufügen von Schmerzen, Demütigungen. Der Sadist erzwingt sich geistige Autorität durch eine Art erzwungene Seelenschau. Anstatt sich demütig vor Gott zu beugen will der Dominante/Sadist die Sünde legitimieren, indem sein devotes/masochistisches Gegenüber ihn gerade wegen seiner Sünde (Schmerzen zufügen, demütigen) liebt. Der Dominante/Sadist sieht und liebt das Gute, die Hingabe in seinem Gegenüber, nutzt diese aber, um darauf seine eigene Macht, seinen Stand in sich selbst, seinen Frieden mit sich selbst zu bauen. Es ist möglich, dass der Dominante/Sadist eigentlich eine Berufung zur geistigen (geistlichen?) Autorität hat, vor der er davonläuft, indem er seine Seelenbewegung auf rein menschlicher Ebene zu realisieren sucht.
Devote/Masochisten und Dominante/Sadisten haben im Grunde das gleiche Problem (schuldige Unwürdigkeit vor Gott), jedoch unterschiedliche Grundbewegungen, vermutlich verursacht durch ihre individuelle Charakteranlage und ihre Art der transzendenten Durchlässigkeit. Das sind dann Schwerpunkte – daher haben die allermeisten Dominanten/Sadisten auch eine devote/masochistische Seite und umgekehrt (wenn auch umgekehrt meist nicht so stark ausgeprägt).
In beiden Fällen wird das spirituelle Problem des Nichtwürdigseins des Menschen vor Gott auf reiner Menschenebene beantwortet. Das heißt, Gott kommt nicht vor. Er wird nicht gefragt. Das Problems der Unwürdigkeit, das der Mensch mit Gott hat, wird nicht bei Gott gesucht. Statt dessen versucht der Mensch, das Problem mit eigenen Mitteln zu lösen.

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